Das Erwachsenwerden kann manchmal ganz schön kompliziert sein. Besonders schwierig wird es, wenn man so traurig ist wie Gottie. Seit dem Tod ihres Großvaters hat sie sich verändert. Sie kapselt sich ab, verliert sich in ihrer Traurigkeit – und gerät noch dazu in Wurmlöcher, die sie in ihre eigene Vergangenheit katapultieren. Was will das Universum ihr damit sagen? Oder verliert sie etwa einfach ihren Verstand?
Das Genre Coming-of-Age empfand ich schon immer als absolut faszinierend, Harriet Reuter Hapgood beleuchtet diese Entwicklungsphase in „Ein bisschen wie Unendlichkeit“ (Orig.-Titel: „The Square Root of Summer“) sensibel, humorvoll und extravagant. Mehr dazu in meiner Rezension.
„Something I did has made time go all Eternal Sunshine.“ (Seite 59)
Wer „Eternal Sunshine of the Spotless Mind“ mit Kate Winslet und Jim Carrey gesehen hat, der weiß, wie kompliziert Zeitreisen werden können. Vor allem dann, wenn Gefühle involviert sind. Und davon hat Gottie, ein junges mathematisches Genie, mehr als genug. Sie sucht Zuflucht in Zahlen, um allen schmerzhaften Gefühlen und der Einsamkeit zu entfliehen. Denn ihr ganzes Leben wurde sie verlassen: Ihre Mutter starb nach ihrer Geburt, vor fünf Jahren zog ihr bester Freund Thomas fort, vor einem Jahr starb ihr geliebter Großvater und ihr Bruder zog von zu Hause aus. Sie blieb zurück mit einem Vater, der sich lieber aus allem zurückzieht und sie orientierungslos treiben lässt. Zu guter Letzt wird sie am Tag der Beerdigung von ihrem geheimen Freund sitzen gelassen.
Das alles kann Gottie nur schwer verkraften. Und dann sieht sie auf einmal das erste Wurmloch und inmitten dieses gesamten Chaos, das sich ihr Leben nennt, erlebt sie nun plötzlich Momente aus dem vergangenen Sommer wieder. Über allem steht die Frage nach dem Warum?
Mit Gottie gemeinsam begeben wir uns auf die Suche nach der Ursache für die Wurmlöcher. Was lässt sie entstehen? Gibt es eine mathematische Formel, die sie erklären kann? Hat es etwas mit Thomas‘ Rückkehr zu tun? Gottie nimmt sich der Fragen an, wie sie es am besten kann: sie schreibt Formeln und mathematische Theorien nieder und kommt Stück für Stück dem Kern – und Thomas – näher.
„And I wait an wait, but nobody comes to find me. I’ve been making myself smaller and smaller for a year, and now I’m barely here at all.“ (Seite 49)
Ich kann nicht sagen, dass mir ein Charakter besser gefiel als der andere, denn sie sind alle bemerkenswert dargestellt. Neben der großartig-abstrusen Wurmloch-Idee zeichnen die Charaktere die Geschichte ganz besonders aus. Alle wirken rund in sich, aber vor allem lebendig in ihrem Miteinander. Sie strahlen einen starken Zusammenhalt aus, der dem Leser selbst dann nicht verborgen bleibt, wenn Gottie sich zurückzieht.
„I don’t want to disappear. I don’t want to do this anymore, but I don’t know how to stop it. I’m here. I want to exist.“ (Seite 204)
„Ein bisschen wie Unendlichkeit“ könnte sehr traurig sein. Ist es aber nicht, und das hat der Leser manch skurrilen Situationen sowie den herzlichen, direkten und humorvollen Stimmen im Buch zu verdanken. Die Autorin hat wundervolle Dialoge geschrieben, die mir das Herz der Charaktere zeigten. Und Herz haben sie ganz viel – angefangen bei Thomas, der so viel für Gottie tut, bis hin zu Gotties Bruder Ned, der trotz seiner Kratzbürstigkeit immer zu ihr hält.
Zudem versprüht die Geschichte eine intensive Lebensfreude. Nach dem Lesen sehnt man sich förmlich nach Sonne, Sommer und Freiheit. Nach Tagen, an denen man barfuß über die Wiesen laufen kann. Nach wilden Feiern bis tief in die Nacht und lauter Musik.
Fazit
„Ein bisschen wie Unendlichkeit“ ist eine ungewöhnliche und einzigartige Coming-of-Age Geschichte und eine spannende Reise durch die Zeit, eine Reise durch die aufgewühlten Gefühle eines jungen Mädchens. Gleichzeitig ist es eine originelle, nerdige Geschichte über Familie und den Zusammenhalt von Freunden. Von mir eine klare Leseempfehlung.
♥ ♥ ♥ ♥ ♥
Ein bisschen wie Unendlichkeit (The Square Root of Summer)
Als die Ferien anfangen, möchte Gottie eigentlich nur unter dem Apfelbaum liegen, in die Sterne schauen und über das Universum nachdenken. Sie kennt jede Theorie zu Raum und Zeit und kann alles mit einer Formel erklären.
Außer, warum ihr bester Freund Thomas, der vor einigen Jahren weggezogen war, plötzlich wieder auftaucht. Warum niemand ihre Verzweiflung über den Tod ihres Großvaters Grey versteht. Und warum sie in Flashbacks ganze Szenen ihres Lebens erneut durchlebt. Verliert sie den Verstand oder wird sie wirklich in die Vergangenheit versetzt? Und wie kann sie in der Gegenwart bleiben – bei Thomas, dessen Küsse ihr Universum verändern?
Preis: 16.99 Euro
Erschienen: 23. Februar 2017
Zur Verlagswebseite
Über Harriet Reuter Hapgood
Harriet Reuter Hapgood lebt in Brighton, England. Als Modejournalistin schrieb sie unter anderem für die Zeitschriften »InStyle« und »MarieClaire«. Ihr Großvater war ein deutscher Mathematiker und hat sie zu diesem Roman inspiriert. ›Ein bisschen wie Unendlichkeit‹ ist ihr Debüt.
Hey, 🙂
so eine schöne Rezension! Da wandert gleich noch ein Buch auf meine Wunschliste…
Vielen Dank für die Empfehlung und liebe Grüße
Maike
LikeGefällt 1 Person
Liebe Maike,
ich danke dir und freue mich, dass ich dir ein Buch schmackhaft machen konnte 😀 Ich hoffe natürlich, dass es dir mindestens genauso gut gefallen wird!
Liebste Grüße,
Anna
LikeGefällt 1 Person
Hey.
Sehr schön geschrieben. Da bekomme ich ja als eigentlicher Lesemuffel richtig Lust auf das Buch!
Physik, Sterne und die Idee der Zeitreise (scheinbar über die Wurmlöcher theoretisch tatsächlich denkbar) haben mich auch schon immer fasziniert!
Da kann man sich schnell in den wilden Theorien seit Einstein sehr verlieren. Besonders abstrus aber faszinierend wird es mit der String Theorie.
… aber vermutlich geht das Buch da nicht so tief.
Übrigens auch sehr liebevoll schöne Fotos!
LikeGefällt 1 Person
Huhu & danke 😊 Die mathematischen Theorien kommen schon zur Sprache, aber natürlich nicht in die Tiefe. Da Gottie aber ein Mathe-As ist, weit genug für mich – ich würde abgehängt 😅 Ich muss aber sagen, dass mein Interesse an Wurmlöchern geweckt wurde.
Liebe Grüße,
Anna
LikeGefällt 1 Person
haha
Cool. Wie ein Buch bzw die Geschichte das Interesse an so etwas hoch kompliziertem weckt 😊
Wenn du da echt Lust drauf hast, kann ich dir die Sachen von Stephen Hawking ans Herz legen.
Universum in der Nussschale
Kurze Geschichte der Zeit
Echt krass, wenn man sich das alles vorstellt, was die da für Theorien haben. Irgendwas muss ja da dran sein 😉😂😂
LG Andreas
LikeGefällt 1 Person
Ja, und das obwohl ich in Mathe und Physik echt nicht die Beste war 😂 Aber die Theorie ist ungemein spannend. Daher vielen Dank für die Buchtipps! Von beiden habe ich schon gehört, sie aber noch nicht gelesen 😄
Liebe Grüße,
Anna
LikeGefällt 1 Person