Alle Farben der Nacht von Jonas Zauels | Rezension

Sprachgewaltiges und intensives Roman-Debüt, das erschüttert und berührt. 

Für manche Rezensionen fühle ich mich zu klein. Ich fühle mich ihnen nicht gewachsen, vor allem, wenn mich der Roman sprachlich und inhaltlich so sehr gefangennimmt und beeindruckt, wie dieses Debüt: „Alle Farben der Nacht“ von Jonas Zauels. Der Autor, gerade einmal Mitte zwanzig, schreibt so gut. Metaphorisch, philosophisch, nüchtern, poetisch, gleichzeitig jugendlich und reif – seine Worte fühlen sich schlicht energiegeladen an. Herrje, manchmal kann man einfach nur dankbar sein, auf ein Buch aufmerksam gemacht worden zu sein.

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Voller Energie sein – das passt zum Mitte zwanzig sein. Ein Alter, in dem übrigens auch die Protagonistin Emilia ist. Das ist die Zeit der intensiven Gefühle: Die ungestüme und nicht immer glückliche Liebe, Nachdenklichkeit und Schwermut, die einen ab und an befällt, die Verrücktheit und Freiheit der durchwachten Nächte, die Schmerzhaftigkeit des Erwachsenenlebens und die Grenzenlosigkeit der Möglichkeiten. In „Alle Farben der Nacht“ geht es um all das, das Erwachsenwerden, mit seinen Hürden und Schwierigkeiten – und um so vieles mehr.

Emilia ist eine verlorene junge Frau. Sie irrt ohne Familie und Freunde durch Tage und Nächte, betäubt sich mit Drogen und Alkohol. Schwierigkeiten, Sorgen und traumatische Erlebnisse lassen sich so verdrängen. Sie muss sie verdrängen, da sie sonst zerbricht. Der Leser erfährt nach und nach die ganze Bandbreite des Unglücks. In unscheinbaren Nebensätzen, unterkühlt und dabei kristallklar, spielen sich die Tragödien der Protagonistin ab. Die Tragweite wird einem dadurch nur umso bewusster.

Das Leben zieht sich wie dickflüssiger Klebstoff durch die dunklen Straßen und nimmt hier und da ein Stück Dreck mit, der lange Fäden hinter sich herzerrt, gleichzeitig so nah und so verschwommen weit weg, bedrohlich und unbarmherzig die Verfolgung aufnimmt und sich unlösbar in der Erinnerung festsetzt. (Seite 60)

Ich tauchte in den Kopf von Emilia ein und kam nicht mehr raus. Das war faszinierend und schmerzhaft und jetzt, wo ich am Ende angelangt bin, möchte ich von vorne beginnen. Denn ich bin mir ganz sicher, ich kratze gerade nur an der Oberfläche all dessen, was in diesem Roman drin steckt. Ich möchte den Text markieren, Gedanken und Zusammenhänge notieren, analysieren und jede Zeile sezieren – und das macht nur ein richtig gutes Buch mit mir. Davon gibt es nicht viele, eines wäre zum Beispiel „Der Fänger im Roggen“ von J.D. Salinger.

An diesem Abend war es Emilia, als breite sich in ihr eine klirrende Kälte aus, die sie in tausende und abertausende Teile zerbersten ließe. Splitter für Splitter sprang von ihr ab, verließ sie, brachte sich in Sicherheit, bis nur noch ein Schandfleck aus Knochen und Haut übrig war, in einer salzigen Pfütze auf dem Boden. (Seite 153)

Doch zurück zu „Alle Farben der Nacht“. Das obere Zitat ist nur ein Beispiel von zig Metaphern, die mich nicht mehr loslassen. Sie machen es dem Leser teilweise schwer, dem Geschehen zu folgen. Überhaupt ist es nicht immer leicht, zu unterscheiden, was nun Wirklichkeit und was Einbildung ist. Was findet nur in Emilia’s Kopf statt, was geschieht tatsächlich? Doch das entfachte bei mir nur den Wunsch, noch tiefer einzusteigen und mich noch mehr auf die Geschichte einzulassen.

Ich schwärme zu sehr? Ach, ich habe nicht mal richtig angefangen! Doch jedes weitere Wort würde zu viel vom Inhalt vorwegnehmen.  Jonas Zauels – Hut ab. Ich benutze dieses Wort nicht gerne, aber ich bin ein Fan geworden. Schreibe bitte noch ganz, ganz viele Bücher, ich möchte sie alle lesen.

Fazit

„Alle Farben der Nacht“ von Jonas Zauels ist ein absolut bemerkenswertes und anspruchsvolles Debüt, das mich nachhaltig beeindruckt hat. Ich war sprachlos und bin es – um ehrlich zu sein – auch jetzt noch. Diese Coming-of-Age Geschichte ist hart, ungewöhnlich und geht an die Substanz. Doch sie ist gleichzeitig so reich an intensiven Gefühlen, dass man sie nicht hoffnungslos verlässt. Von mir eine ganz klare und dringende Empfehlung.

♥ ♥ ♥ ♥ ♥

Alle Farben der Nacht

Eine junge Frau namens Emilia irrt durch das Dunkel ihres Lebens – blind gegenüber Verlusterfahrungen, denen sie ebenso wenig Macht über sich geben will wie den offensichtlichen Spuren erfahrener Missachtung. Sie trinkt viel, isst wenig, nimmt Drogen, verdrängt gar, dass sie schwanger ist, und erleidet schließlich einen schweren Unfall. Ihr Weg gibt allen Anlass zur Sorge – wäre da nicht Theo, der ihr wie ein Schatten folgt, die Richtung weist. Und wäre da nicht außerdem die jugendliche Streunerin Rebecca, der Emilia sich langsam öffnen kann. Die beiden Freundinnen gehen mit einer Rockband auf Tour, verlieben sich ineinander, zerstreiten sich wieder, verlieren und suchen sich. Allmählich wächst Vertrauen, verleugnete Erinnerungen kehren zurück. So dringt mehr und mehr Licht in Emilias Düsternis – endlich beginnt sie die Farben zu sehen.

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Verlag und Copyright: Ulrike Helmer Verlag

Preis:
 12.95 Euro
Format: Paperback
ISBN: 978-3-89741-395-5
Erschienen: 1. März 2017
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Über Jonas Zauels


Jahrgang 1992, wuchs in einem Dorf im Kreis Ahrweiler bei Bonn auf und entwickelte früh eine Bindung zu Literatur und Schreiben. Bisher verfasste er zwei Romane und diverse Kurzgeschichten. Neben dem Schreiben studiert er Germanistik und Philosophie an der Universität Bonn und spielt Bass in einer Indie-Rock Band.

Stimmen anderer Blogger


7 Gedanken zu “Alle Farben der Nacht von Jonas Zauels | Rezension

  1. Ich finde es so schön, dass du auch neue Autoren und deren Werke vorstellst und nicht nur das, was in den meisten Buchblogs so rezensiert wird. Gerade dieses Buch hier klingt wirklich sehr spannend! Das liegt sicher auch an deinen immer so lebhaften Beschreibungen und Einsichten.. Das macht deinen Blog wirklich besonders! Daher war ich so dreist dich einfach mal für den Mystery Blogger Award zu nominieren. Hier findest du alle Infos dazu: https://freudenwege.wordpress.com/2017/09/13/the-mystery-blogger-award/ Ich würde mich freuen, wenn du mitmachst. Wenn nicht, ist das aber auch in Ordnung 🙂 Ganz wie du magst.
    Alles Liebe
    Julia

    Gefällt 1 Person

    1. Liebe Julia,

      ich freue mich, dass ich dich neugierig machen konnte. Für dich wäre es ganz bestimmt etwas, das denke ich auch. Zumal der Autor aus Bonn kommt und ich zumindest die Geschichte gedanklich automatisch dort ansiedelte 😉 Vielleicht würde es dir ja genauso ergehen.

      Vom Mystery Blogger Award habe ich noch gar nicht gehört! Dem werde ich gleich mal auf den Grund gehen 🙂 Danke auf jeden Fall für die Nominierung.

      Ich hoffe, dir geht es gut? Was macht dein Fuß?

      Liebste Grüße,
      Anna

      Gefällt 1 Person

      1. Liebe Anna,
        wenn ich meinen Stapel Bücher durchgelesen habe, werde ich auf jeden Fall mal nach diesem Buch schauen. 🙂 Zum Glück gibt es ja hier eine Buchhandlung!
        Meinem Fuß geht es viel besser. Ich kann schon eine Weile wieder laufen. Jucken tut es allerdings noch immer. Dauert wohl eine Weile, bis sich die Haut erholt hat..
        Und wie läuft es bei dir?
        Liebe Grüße
        Julia

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    1. Liebe Jessie,

      das freut mich zu hören, ich danke dir 🙂
      Das Buch ist wirklich sehr, sehr lesenswert und vor allem für einen so jungen Autoren ein beeindruckendes Werk!

      Ich wünsche dir einen schönen Abend!
      Viele liebe Grüße,
      Anna

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