„Die erste Regel lautet, du darfst nicht lieben“, sagte er. „Es gibt noch andere Regeln, aber das ist die wichtigste. Du darfst dich niemals verlieben.“ (Seite 7)
Matt Haig genießt seit seinem Bestseller „Ich und die Menschen“ sowie dem Roman „Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben“ weltweite Bekanntheit. In Letzterem erzählt Haig von seiner schweren Depression und wie er die Krankheit besiegte. „Wie man die Zeit anhält“ heißt sein neuer Roman, der im April 2018 beim dtv Verlag erschien und der nicht nur, wie seine anderen Werke witzig, bewegend und berührend sein soll, sondern noch dazu fantasievoll. Dieser Roman ist meine erste Begegnung mit dem Autoren und ob ich ebenso restlos begeistert bin, wie viele seiner Leser, erfahrt ihr hier.
Die Grundidee gefällt mir sehr gut: Es geht um Tom Hazard, der viel langsamer altert als andere Menschen und bereits 400 Jahre zählt, obwohl er aussieht wie 40. Anhand seiner Erinnerungen wird die Vergangenheit lebendig: Er begegnete Persönlichkeiten wie Shakespeare und Captain Cook – und ist dennoch schrecklich einsam. Wie muss es sein, inmitten einer Vielzahl von Menschen zu sein und dennoch nicht so recht am Leben dieser Menschen teilhaben zu können, da man ständig seine Identität wechseln muss? Matt Haig widmet sich dieser Einsamkeit und diesem Gefühl der Isolation bis ins feinste Detail. Er kostet die Emotionen aus, die Tom Hazard empfindet. Die Erschöpfung, die Antriebslosigkeit, die fehlende Anteilnahme – alles Motive, die durchschimmern lassen, wie sich der Autor gefühlt haben muss, wenn die Depression ihn im Griff hatte. Diese Authentizität zog mich in ihren Bann.
Und sie starb und ich lebte, und ein Abgrund tat sich vor mir auf, dunkel und bodenlos, und ich fiel hinein und fiel und fiel, jahrhundertelang. (Seite 37)
Zu Beginn war auch die Geschichte enorm aufregend und vielseitig. Die Rückblicke entführten in die Kindheit von Tom Hazard, in die Zeit der Hexenverfolgung, die Elisabethanische Ära in England und die 1920er Jahre. Man erlebt die Pest und lernt Shakespeare von einer erfrischend anderen Seite kennen. Doch je länger ich diese Geschichte las und so faszinierend die Rückblicke auch waren, sie nahmen für mich einen zu großen Teil der Erzählung ein. Mir fehlte der Fokus auf die Gegenwart, die so viel Interessantes bietet! Hier wollte ich tiefer eintauchen und mehr erfahren. Natürlich sind die Erinnerungen von Tom Hazard notwendig, um ihn als Charakter vollständig zu verstehen, seine Einsamkeit nachvollziehen zu können, doch dieses ständige Hin und Her überforderte mich und ärgerte mich schlussendlich.
Das Leben, das sich stets wiederholte, wurde öde. Irgendwann kam kein Lächeln mehr, keine Geste, die man noch nicht gesehen hatte. Keine Veränderung in der Weltordnung, die nicht das Echo einer anderen Veränderung war. (Seite 43)
Durch die Zeitsprünge hatte ich nicht das Gefühl, dem Protagonisten wirklich näherzukommen. Er wirkte wie zersplittert auf mich, zu distanziert, einfach nicht rund und vollständig. Natürlich kann dies unterstreichen, dass er durch die vielen Identitäten auch schlicht seine eigene Mitte nicht findet, doch meinen Geschmack traf dies leider nicht. Zusammengehalten wird „Wie man die Zeit anhält“ recht gut durch die Art, wie Matt Haig schreibt. Er findet sehr treffende Worte für Hazards Gedanken und Gefühle. Das machte sein neuestes Werk zumindest gut lesbar, trotz meiner Kritik.
Wer neugierig ist: Es gibt zahlreiche begeisterte Leser, die das Buch sehr positiv bewerten – siehe meine Leseempfehlungen am Seitenende.
Fazit
„Wie man die Zeit anhält“ von Matt Haig ist mehr als ein Roman – es sind mehrere Romane in einem, denn der Leser wandelt auf den Spuren von Protagonist Tom Hazard. Und die sind beachtlich! Über 400 Jahre Menschheitsgeschichte wurden in diesen Roman gepresst und in einzelnen Szenen genauer betrachtet. Äußerst spannend. Leider wurden mir die Zeitsprünge zu anstrengend, ich wäre lieber mehr beim Tom Hazard der Gegenwart geblieben. Stattdessen stolperte ich von einer Zeit in die andere und verlor so schlicht zu oft den Faden zur Geschichte und den Draht zum Charakter. Der Schreibstil ist allerdings entwaffnend und macht den Roman dennoch zu einem schönen Erlebnis.
♥ ♥ ♥|♥ ♥
Dem Verlag noch einmal vielen Dank für die überraschende Post. Meine Rezension ist davon in keinster Weise beeinflusst.
Wie man die Zeit anhält
Keiner lehrt Geschichte so lebendig wie er ‒ und das hat einen guten Grund: Tom Hazard, Geschichtslehrer und verschrobener Einzelgänger, sieht aus wie 40, ist aber in Wirklichkeit über 400 Jahre alt. Er hat die Elisabethanische Ära in England, die Expeditionen von Captain Cook in der Südsee, die Literaten und Jazzmusiker der Roaring Twenties in Paris erlebt und alle acht Jahre eine neue Identität angenommen. Eines war er über die Jahrhunderte hinweg immer: einsam. Denn die Nähe zu anderen Menschen wäre höchst gefährlich gewesen. Jetzt aber tritt Camille in sein Leben. Und damit verändert sich alles.
Über Matt Haig
Matt Haig wurde 1975 in Sheffield geboren und hat bereits eine Reihe von Romanen und Kinderbüchern veröffentlicht, die mit verschiedenen literarischen Preisen ausgezeichnet und in über 30 Sprachen übersetzt wurden. In Deutschland bekannt wurde er mit dem Bestseller ›Ich und die Menschen‹.
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Verlagsinfos zum Buch
Verlag (Copyright Cover): dtv Verlag
Preis: 20.00 Euro
Format: Hardcover
ISBN: 978-3-423-28167-6
Erschienen: 20. April 2018
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Erstmal ein dickes Danke für das Verlinken meiner Eindrücke :-*
Und wirklich schade, das dich die Zeitsprünge eher störten. Eines der Punkte, die für mich ihren ganz besonderen Reiz hatten, nur etwas mehr Charme der entsprechenden Jahre gebraucht hätte. Wirst du dennoch zu einem anderen buch des Autors greifen (wollen)?
Hab einen mukkelig-sonnigen Sonntag!
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Aber gerne doch, vor allem deine schönen Rezensionen 🙂
Ich glaube, hätte Matt Haig sich länger in den jeweiligen Epochen aufgehalten, dann wäre es mir weniger störend vorgekommen. Es lag eine gewisse Hektik darin, die es mir nicht ermöglichte, wirklich einzutauchen. Nichtsdestotrotz werde ich bestimm auch noch anderes von ihm lesen! So schnell gebe ich bei einem Autoren nicht auf 🙂
Dir noch einen schönen Abend!! :-*
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❤ Danke dir fürs Lob :-*
Ich kann dich verstehen, auch wenn ich die Probleme nicht hatte. Mir fehlte ja wie gesagt vor allem der Flair darin, aber ansonsten hatte ich es überraschenderweise *lach mehr als gerne gelesen und freue mich das "Ich und die Menschen" schon bei mir liegt!
Liebe Grüße!
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Liebe Anna,
Eine wirklich schöne und sehr ehrliche Rezension!
Ich kann deine Kritikpunkte vollkommen verstehen, auch wenn sie mir nicht so aufgestoßen sind.
Hätte ich das Buch nicht schon gelesen, so hättest du mich jetzt spätestens neugierig gestimmt 🙂
Liebste Grüße ❤ Jill
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Liebe Jill,
ich danke dir ❤
Und ich bin froh, dass ich dich dennoch auf die Geschichte aufmerksam gemacht hätte! Es geht ja schließlich immer um die ganz persönliche Wahrnehmung. Daher war es mir wichtig, andere und begeisterte Stimmen zu verlinken 🙂
Liebe Grüße,
Anna
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Ich habe mir das Buch eben vorbestellt. Das, was ich bisher gehört habe, kligt einfach vielversprechend.
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Dann wünsche ich dir ganz viel Spaß beim Lesen! Der Schreibstil ist wirklich ganz wundervoll 😊
Liebe Grüße,
Anna
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Vielen Dank, Anna.
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