Autor und Musikproduzent Johann Scheerer knüpft in „Unheimlich nah“, seinem im Januar 2020 erschienenen autofiktionalen Roman, an sein Debüt „Wir sind dann wohl die Angehörigen“ an. Darin schildert er die bangen Wochen der Unsicherheit, nachdem sein Vater Jan Philipp Reemtsma entführt worden war. Nun, fast drei Jahre später, erzählt er, was danach geschah. Vom Leben nach dem Verbrechen. Die 90er Jahre neigen sich dem Ende und die 2000er Jahre stehen in den Startlöchern. Europa begrüßt den Euro und während sich Johanns Freunde von ihren Eltern und generell allen Erwachsenen emanzipieren, sieht sich Johann mit einer völlig anderen Realität konfrontiert. Statt seine Jugend unbeschwert und vor allem unbeobachtet genießen zu können, verfolgen ihn Personenschützer auf Schritt und Tritt. Was denken die Freunde über ihn? Reden sie über ihn? Und wie soll er so auf Partys gehen, sich verlieben? Wie kann er auch mal Mist bauen oder in eine Prügelei verwickelt werden, ohne dass ihm ständig jemand über die Schulter blickt?
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Feenstaub von Cornelia Travnicek | Rezension
Wer auf der Suche nach einer überraschenden und besonderen Geschichte ist, liegt mit „Feenstaub“ von Cornelia Travnicek schon ganz richtig. Fantasievoll und gleichzeitig mit bedrückendem Ernst, erzählt sie die Geschichte von Petru, Cheta und Magare, die als Taschendiebe die Schatzkiste ihres Krakadzil befüllen. Sie sind traurig und einsam. Sie vermissen Eltern, die sie entweder kaum kennen oder die sie nicht mehr haben wollen. Sie halten zusammen, aber nur weil sie müssen, nicht, weil sie Freunde sind. Sie leben isoliert und befolgen Befehle und Anweisungen. Freude bringt ihnen allein der „Feenstaub“, den sie zur Belohnung vom Krakadzil erhalten. Er macht alles ein wenig bunter und es fühlt sich an, als könne man fliegen.
Travnicek erzählt „Peter Pan“ nicht neu, sie nähert sich vielmehr wieder der Originalversion von James Matthew Barrie an. Darin ist Peter Pan böse, er hält die „Verlorenen Jungen“ bei sich auf einer Insel gefangen und wenn einige von ihnen zu alt werden, lichtet er die Reihen. Kurz gesagt, er tötet sie. Viele Details aus der Originalerzählung greift Travnicek auf, vor allem aber behält sie die düstere und bedrohliche Grundstimmung der ursprünglichen Erzählung bei, und webt daraus eine vollkommen neue Version von „Peter Pan“.
WeiterlesenEin Sommer in Brandham Hall von L. P. Hartley | Rezension
„Ein Sommer in Brandham Hall“ von L. P. Hartley ist eine Geschichte von tragischer Schönheit, die bereits im Jahr 1953 erschien und damals den Durchbruch für den Autor mit sich brachte. Doch auch heute hat die Geschichte nichts an Wertigkeit verloren, denn die Handlung ist zeitlos und kunstvoll erzählt. Es geht um Marian, die Tochter des Herrn von Brandham Hall, und den Pächter Ted, die sich allen gesellschaftlichen Konventionen zum Trotz ineinander verliebt haben. Und es geht um den jungen Leo Colston, der seine Sommerferien auf Brandham Hall verbringt, und der dazu auserkoren wird, die heimlichen Botschaften der beiden zu übermitteln. So wird er wider besseren Wissens hineingezogen in ein Spiel von Liebe, Eifersucht und Verzweiflung.
Ich war nicht mehr zufrieden mit dem kleinen Erfahrungsbereich, in dem ich mich bisher bewegt hatte. Ich wollte jetzt in großem Stil erleben. […] Mein Traum war meine Realität geworden, mein altes Leben hatte ich abgestreift wie eine Hülle. Und die Hitze war wie ein Medium, das diesen Wandel möglich machte. (Seite 107/108)
Vakuum von Antje Wagner | Rezension
Alissa zog ihr Handy heraus. Sie wählte 110.
Nach einer Weile senkte sie das Handy wieder und wählte erneut.
„Was ist los?“, fragte Leon nervös.
„Bei 110 hebt keiner ab.“ (Seite 142)
In diesem Buch eine Pause einlegen? Fehlanzeige. Viel zu spannend ist „Vakuum“ von Antje Wagner. Sie verstrickt Fantasy, Mystery, Horror und Drama in ihrem Jugendbuch – eine überraschend gut funktionierende Mischung. Vor allem, weil die Autorin darüber hinaus nicht vergisst, ein waches Auge auf die komplexen Gefühlswelten ihrer Charaktere zu haben.
Die fünf Jugendlichen Alissa, Leon, Tamara, Hannes und Kora tragen jeder ihr Päckchen mit sich herum, über das sie sich beharrlich ausschweigen. Die Vergangenheit wird fein säuberlich aus ihrem Leben geschnitten. Doch so einfach ist es nicht, denn verdrängte Erfahrungen und Erinnerungen sind starke Treiber, die jeden der Fünf in ihrem Wesen und in ihrem Alltag unbewusst beeinflussen und lenken. Kora zum Beispiel kapselt sich in der Jugendhaft auffallend von allen anderen ab. Hannes muss aus unerfindlichen Gründen jeden Abend zu einer bestimmten Uhrzeit irgendwohin und meidet ebenfalls den Kontakt zu Familie und Freunden. Tamara verliert sich in Klängen und Musik, um den Konflikten mit der Stiefmutter zu entfliehen. Alissa ist innerlich erstarrt, seit sie aus ihrer Heimatstadt weggezogen ist, während ihr Bruder Leon obsessiv fotografiert und verzweifelt ihre Nähe sucht. All dies schildert Antje Wagner äußerst feinsinnig, so dass allein dies mich schon bei der Stange hielt.
Doch dann bleibt plötzlich die Zeit stehen. Alle Menschen und Tiere verschwinden und die Fünf sind auf sich alleine gestellt. Sie finden einander durch unerklärbare Hinweise und Briefe und beginnen mit der Suche nach Antworten, nach Erklärungen für das, was geschehen ist. Warum sind nur sie noch hier? Was hat es mit dem Stillstand der Zeit auf sich?
Schildkrötenwege oder Wie ich beschloss, alles anders zu machen von Matthew Quick | Rezension
„[…] Das Buch setzt Gefühle frei. Gefühle, denen jeder selbst auf den Grund gehen muss. (Seite 151)
„Die Geschichte von Matthew Quick ist auf eine völlig unaufgeregte Art etwas ganz Besonderes.“ So lautet eine Zeile aus meiner Rezension zu Quicks Roman „Goodbye Bellmont“, die ihr hier vollständig nachlesen könnt. Warum ich mich jetzt darauf beziehe? Weil der Autor es wieder geschafft hat, sich klammheimlich und unbemerkt in mein Herz zu schreiben – und zwar mit seinem neuen Roman „Schildkrötenwege oder Wie ich beschloss, alles anders zu machen“.
[Rezension] „Liebe ist was für Idioten. Wie mich.“ von Sabine Schoder
Nachdem ich von allen Seiten nur die besten Meinungen zu diesem Buch gehört hatte, gönnte ich es mir schließlich am Welttag des Buches. Ich liebe das Cover und den Titel – vor ein paar Jahren hätte ich es mir sicherlich gerne als Ausdruck in Großformat an die Wand gehangen. Doch konnte mich auch das Innenleben des Buches überzeugen? Das erfahrt ihr hier.