[Rezension] „Realitätsgewitter“ von Julia Zange

Ich liebe Katzen, daher musste ich direkt erstmal jauchzen, als ich dieses Cover sah. Doch mindestens genauso faszinierte mich der Klappentext, so dass schnell klar war, dass ich „Realitätsgewitter“ von Julia Zange unbedingt lesen wollte. Geschichten wie diese, die von einem jungen Menschen handeln, der mit sich selbst und seinem Leben zu kämpfen hat, üben einen großen Reiz auf mich aus. Daher meinen herzlichsten Dank an den Aufbau Verlag, dass ich diesen Roman lesen durfte.

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Über „Realitätsgewitter“

Marlas Leben ist ein einziges Realitätsgewitter. Wenig Sex, viel iPhone. Viel Bewegung, wenig Sicherheit. Sehr globalisiert, aber immer noch ganz schön deutsch. Marla funktioniert perfekt. Sie hat immer die richtige Maske auf. Doch plötzlich bekommt ihr hochglänzender Panzer kleine Brüche. Plötzlich ist da eine schwere Traurigkeit, die langsam von ihrem Bauch nach oben spült. Um nicht zu ertrinken, macht sie sich auf den Weg zurück in ihr Heimatdorf. Und landet schließlich auf Sylt. Eine Reise ins Erwachsenwerden und zu sich selbst.

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Copyright Bild und Klappentext: Aufbau Verlag
Preis:
 17,95 Euro
Format: Hardcover
ISBN: 978-3-351-03658-4

Erschienen: 14. November 2016
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„Ich renne. In den nächsten dunklen Innenhof, presse mich in eine Ecke und heule, wobei ich mir die Hand vor den Mund halte, damit niemand hört, dass mein Heulen eigentlich auch ein Schreien ist.“ (Seite 53)

Alles überziehend erlebt der Leser die Anonymität in der Großstadt Berlin. In der ersten Hälfte des Buches streunen wir gemeinsam mit Marla durch das Nachtleben und die Künstlerszene, erleben Partys und Drogenkonsum, und wie Marla Trost und Geborgenheit durch Sex zu finden versucht. Es ist nicht das wilde, schillernde und rauschende Leben, wie man es sich vielleicht vorstellt, sondern ein Dasein ohne Glanz, verloren und suchend. Die Charaktere jagen Träumen hinterher und verlieren sich dabei in Trugwelten. „Realitätsgewitter“ zeigt, wie leicht es ist, in der Anonymität der Großstadt zu verschwinden und sozusagen „niemand“ mehr zu sein – ein von Marlas größten Ängsten.

Marla irrt von Begegnung zu Begegnung, bloß nicht alleine sein ist ihre Devise. Sie trifft auf Fremde und flüchtige Bekannte und teilt mit ihnen das Bett, um ihre Sehnsucht nach Geborgenheit zu stillen, wahrgenommen und geliebt zu werden. Gleichzeitig aber scheint es, als würde sie vor dem Leben fliehen wollen. All diese Empfindungen und Motivationen, die Marla antreiben, hat Autorin wunderbar klar und pointiert zum Ausdruck bringen können. Dabei hält sie den Leser im Unklaren über das Warum. Ab der Mitte des Buches begann diese unbeantwortete Frage an mir zu nagen und machte mich unzufrieden mit der Geschichte. Doch genau in diesem Moment kam der Dreh und Marla fährt in ihre Heimat.

Hier erhielt ich die Antworten, die ich mir wünschte, und zwar erschütternd drastisch. Insgesamt blieb aber alles schlüssig und nachvollziehbar. Lediglich am Ende hätte ich mir mehr Raum für die Aufarbeitung des Erlebten gewünscht. Der Wendepunkt kommt etwas zu kurz, Julia Zange schenkt der Aufarbeitung von Problemen nicht genügend Raum, finde ich. So blieben der Sinneswandel von Marla und eine veränderte Wahrnehmung etwas zu vage.

Charaktere


Marla ist der Dreh- und Angelpunkt im Buch. Sie ist die Protagonistin und im Grunde auch der einzige Charakter. Die Menschen, denen sie begegnet, gleichen Statisten, deren Vergangenheit und Zukunft uns nicht interessieren. Es zählt nur der Moment des Zusammentreffens, und in diesem prägen sie durch ihre verschrobene oder extravagante Art das Gesamtbild von Marlas Leben.

Marla ist eine einsame, orientierungslose und bisweilen auch verzweifelte junge Frau. Vor allem ist sie auffallend unfähig, eigenständig im Leben zurechtzukommen. Sie sucht den Halt, um nicht ins Bodenlose zu fallen. Ich konnte sie nicht wirklich mögen, aber ich konnte sie sehr gut verstehen und ihre intensiven Gefühle nachempfinden.

Schreibstil

„Wenn man ein gutes Mädchen ist, lernt man irgendwann, sich auszuschalten.“ (Seite 122)


Erzählt wird aus der Sicht von Marla, und die Worte, die Julia Zange ihr in den Mund legt, überzeugten mich auf jeder Seite. Es wird keine Empfindung, kein Erlebnis und keine Konfrontation schöngeredet, sondern nüchtern und kraftvoll bloßgelegt. Mir hat der Schreibstil sehr gut gefallen.

Fazit


„Realitätsgewitter“ ist ein dünnes, aber beeindruckendes Buch, dass mich nicht so schnell loslassen wird. Die Geschichte ist eindringlich und intensiv, und Marla als Charakter sehr stark. Es gibt kaum etwas, dass ich daran aussetzen kann, außer, dass ich mir für den Ausgang noch mehr Seiten gewünscht hätte.

♥ ♥ ♥  ♥

Über Julia Zange


Julia Zange, geboren 1987, lebt und arbeitet seit 2006 in Berlin. 2005 gewann sie den Literaturwettbewerb Open-Mike, 2008 veröffentlichte sie ihren ersten Roman mit dem Titel Die Anstalt der besseren Mädchen. Sie ist Teil der Web-Serie Translantics. Sie arbeitet als Redakteurin bei L’Officiel und schreibt regelmäßig für Zeit Online und Fräulein. In Philip Grönings Film Mein Bruder Robert, der 2017 Kino-Premiere feiert, hat sie als Hauptdarstellerin debütiert. Außerdem organisiert sie regelmäßig die Veranstaltungsreihe Dead Poets Society im Soho House Berlin.

Rezensionen anderer Blogger


8 Gedanken zu “[Rezension] „Realitätsgewitter“ von Julia Zange

  1. Auf deine Rezension habe ich mich schon sehr gefreut. Die fehlende Aufarbeitung am Ende war für mich mit konsequent innerhalb des Buches. Aber schon, dass es dir auch so gut gefallen hat.
    Lg
    Eva

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